Das Desaster der Kommunikation

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Schwere Zeiten…

Vier Gewalttäter, die meinten, sie würden im Auftrag des Islam handeln, wüten in Paris, erschießen Menschen, die in ihrem Beruf der Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit nachgehen, treiben das, was ich menschenverachtendes Unwesen nennen will… Und Hassprediger auf Seiten der Islamisten (IS und deren Anhänger) und rechtsextremer Kreise (Marine LePen nur als Spitze des Eisberges) nutzen diese menschliche und gesellschaftliche Katastrophe forsch und offensiv aus.

Das finde ich alles sehr frustrierend und es vergeht momentan kein Tag, an dem ich mir nicht stirnrunzelnd große große Sorgen mache.

Aber da ist noch etwas, was mich besonders unruhig macht: Die Lage der Kommunikation hierzulande.

Und auch die weltweit herrschenden Kommunikationsmodelle.

In der taz vom 9.1. lese ich einen Artikel von Cristina Nord, in dem sie die These aufstellt, dass Schmähung, Beleidigung, Herabsetzung, Bloßstellung (z.B. durch Satire) neue Räume im Diskurs eröffnen würden…

Ich kann da insoweit mitgehen, wie Meinungs- und Kunstfreiheit dies decken und nicht nur rechtlich sondern auch moralisch erlauben. Und auch der von der Autorin geäußerte Gedanke, dass dadurch die Kontrahenten zur Reaktion gebracht würden, leuchtet mir logisch ein.

Dem Gegenüber (auch: dem Gegner) durch Schmähung und Beleidigung Raum zu geben, um sich äußern und positionieren zu können, wie die Autorin nahelegt, dass ich mittels Beleidigung dem Gegenüber überhaupt erst den Stellenwert zuzubilligen, damit er/sie überhaupt erst Subjekt werden könne… das mag funktionieren, aber sind das ’neue Räume‘?? Und sehen wir uns selbst da nicht etwas zu positiv?

Und auch das Zitat der von Cristina Nord zitierten Kunstkritikerin Jean Fisher, dass jemand mit Provokationen und Unfähigkeiten „mutwillig ein Rauschen erzeugt, um ein neues Beziehungsmuster ins Leben zu rufen“ erscheint mir theoretisch interessant, praktisch ziemlich heikel, um Komplexität entstehen zu lassen.

Ich lese den Artikel so, dass die Autorin entweder übersieht oder bewusst unterlässt, eine wichtige Differenzierung zu machen: den Blick auch auf die Kommunikation abseits von Satire zu richten. Mag sein, dass ihre Thesen dort funktionieren und hilfreich sind, wo der Einsatz von Schmähung gezielt und bewusst versucht wird, eben z.B. in der Satire.

Satire ist, was sie ist und tut, was sie tut. Und das muss sie meines Erachtens auch uneingeschränkt dürfen und tun.

Wie steht es aber mit der Kommunikation abseits von Satire? Darauf geht Frau Nord nicht ein. Aus meiner Sicht lässt sie die These und Einschätzung in einer Weise stehen, als könne dieses Handlungsmuster allgemein hilfreich funktionieren. Das scheint mir überhaupt nicht ausreichend, um sich dem Thema hiesiger Kommunikation zu widmen.

Der überwiegende Teil der verbalen Kommunikation (zumindest hierzulande, mehr kann ich nicht wirklich beurteilen) basiert oft (für meinen Geschmack viel zu oft, viel zu viel) auf Mitteln wie Drohung, Beleidigung, Schmähung, emotionale Erpressung („Mir geht es schlecht, weil du…“), Manipulation, den-anderen-schlecht-aussehen-lassen, Herablassung, Bemitleiden, Verachtung, Forderungen: zwischen Eltern und Kindern, zwischen Partner*innen einer Liebesbeziehung, zwischen Verhandlungsparteien, zwischen Meinungsträger*innen und Zuhörer*innen etc. etc… wenn ich mir tagesaktuelle Medien zu Gemüte führe (TV, Radio, Zeitung, Internet), dann sind meines Erachtens Beiträge, Wortmeldungen weit in der Überzahl, die eine dieser Techniken anwenden und mit Hilfe derer ihre Position, ihre Meinung, ihre Absichten untermauern, durchdrücken wollen.

Die „Du-Botschaft“ (bzw. „Sie-Botschaft“) ist fast allerorten vorherrschend: „Sie sind Schuld, dass…“, „Du hast doch dies und das getan…“

Hört bitte mal, hören Sie bitte mal scharf hin bei Äußerungen von Journalist*innen, Politiker*innen, Nachbar*innen, Freund*innen, Partner*innen, bekannten und unbekannten Menschen im Alltag: wie oft hören Sie, hörst du da Gespräche, in denen eines oder mehrere der obigen Kommunikationsmittel vorkommen?

Ich müsste mich sehr irren (gleichwohl gut möglich, dass das so ist, handelt es sich doch nur um meine Einschätzung, auf meiner Beobachtung basierend), wenn die meisten Dialoge und Monologe (Medien, die Sie/dich als Zuhörende ansprechen) frei davon wären.

Und das macht mir viel viel Sorgen.

Ich finde das furchtbar unreif für eine Gesellschaft, die sich als entwickelt, als fortgeschritten sieht und dieses Signal auch in die Welt aussendet.

Und ich bin ziemlich hoffnungslos, was eine Entwicklung dieser Gesellschaft hin zu mehr Kooperation, mehr Verständnis, mehr Vertrauen, mehr Wohlbefinden, mehr Freundlichkeit, mehr Frieden betrifft, wenn die Kommunikation mehr von den o.a. Mitteln als von letztgenannten Werten beeinflusst ist.

Es geht auch anders:

Statt Schuldzuweisungen kann ich erklären, wie ich mich fühle, was mir durch den Kopf geht, welche Wünsche und Bedürfnisse ich habe.

Statt jemand anders schlecht aussehen zu lassen, um einen taktischen Vorteil zu haben, kann ich Wertschätzung für mein Gegenüber ausdrücken und dennoch klar, hart und deutlich meine Position, meine Bedürfnisse, mein Ziel vertreten.

Statt zu drohen und zu erpressen kann ich um etwas bitten und deutlich machen, wie sehr mir das am Herzen liegt.

Statt jemand von oben herab zu bemitleiden, kann ich versuchen, Anteil an seinem/ihrem Schicksal zu nehmen und versuchen zu verstehen, wie jemand in diese Situation geraten ist.

Statt jemand zu beleidigen, zu schmähen, kann ich dieser Person, dieser Gruppe klar, ehrlich und ohne Beschönigung mein Missfallen, meine Enttäuschung, meine Verärgerung gegenüber auszudrücken.

Statt in die Gegenwehr, vielmehr noch: statt in die Beurteilung zu gehen, noch während jemand das Wort an mich richtet, kann ich aufmerksam und achtsam zuhören, versuchen zu verstehen, was mir jemand mitteilt.

Vor allem aber kann ich Offenheit zeigen, kann ich mich zeigen, wie ich berührbar bin, wie ich berührt bin. Keine der Techniken oben hat zum Ziel, dies zu ermöglichen. Keine der Techniken oben spricht erst einmal von mir sondern richtet sofort Wort und Urteil auf das Gegenüber aus.

Es gibt reichlich Kommunikationstechniken, reichlich Kommunikationswerkzeuge, die Alternativen zur herrschenden Kommunikationsweise bieten: Gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach Marshall Rosenberg, Achtsames Zuhören und „4 Schnäbel 4 Ohren“ von Friedemann Schultz von Thun, aktives Zuhören nach Carl Rogers, Gütekraft-Konzept nach Martin Arnold, Themenzentrierte Interaktion nach Ruth Cohn etc.

Ja, ja, ja… selbstverständlich sind das keine Allheilmittel, selbstverständlich kann ich damit nicht überall Blumentöpfe gewinnen und bei Extremisten im Affekt werden mir diese Techniken auch nicht viel helfen.

Aber noch einmal:

Wie soll sich deiner/Ihrer Meinung nach eine Gesellschaft mehr in Richtung Verständnis, Freundlichkeit, Kooperation, Vertrauen, Wohlbefinden, Frieden entwickeln, wenn wir alle die Formen feindseliger Kommunikation weiterhin mehr pflegen, einsetzen als dass wir Formen nicht feindseliger Kommunikation kultivieren??

Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit sind eminent wichtige und vollkommen unverzichtbare Werte unserer Gesellschaft und jeder Angriff darauf ist ein Verbrechen, das zu ahnden ist. Das ist das Eine, was ich hier unmissverständlich ausdrücken will.

Dieser Gesellschaft mangelt es meines Erachtens leider in viel zu großen Teilen am Willen, Alternativen zu einer Kommunikation durch Drohung, Beleidigung, Schmähung, emotionaler Erpressung, Manipulation, den-anderen-schlecht-aussehen-lassen, Herablassung, Bemitleiden, Verachtung, Forderungen zu pflegen und bewusst zu üben. Ohne viel Bemühungen wird es mit dieser Gesellschaft (und weltweit, wie ich vermute) nicht voran gehen hinsichtlich einer Zukunft mit mehr Verständnis, Freundlichkeit, Kooperation, Vertrauen, Wohlbefinden, Frieden. Das ist das Andere, was ich zu diesem Kommunikationsdiskurs heute zu sagen habe und beitragen will.

Schöne Sonntag und guten Start in die Woche.

Ihr und Euer Jens Gantzel

3 Gedanken zu “Das Desaster der Kommunikation

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