Angst, Angst, Angst…

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Wo ich auch nur hinschaue: in Beziehungen Angst vor zu viel Ansprüchen, zu viel Nähe, zu viel Distanz, wirtschaftlich die Angst vor dem Abstieg, Angst um den eigenen Lebensstandard, den mann/frau sich aufgebaut hat, Angst vor der Entwertung des Euro, gesellschaftlich Angst vor Islamisten, Angst vor Rechtspopulisten, Angst vor Terror, Angst vor Deutschen, Angst vor allem, was fremd ist etc. etc.
Und das ist nur das, was mir im Moment spontan einfällt.
Da passt es gut, dass der fluter gerade eine Ausgabe zum Thema Angst veröffentlicht hat. Kurz zur Information: der fluter ist das Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Ein ganz ausgezeichnetes Magazin, das ich jedes Quartal sehr gern lese. Auch wenn ich diese Ausgabe noch nicht gelesen habe, lässt mich das Editorial schon annehmen, dass es sich lohnen wird. Warum eigentlich nur Jugendmagazin? Die Lektüre steht mir auch prima zu Gesicht und bringt mich mitunter weiter als manch angesehene Zeitung.

Festzustellen ist auch, dass in den Medien zur Zeit oft über Ursachen von Angst gesprochen wird.
Immerhin.
Aber:

Ich bin immer wieder irritiert und ein Stück weit auch verärgert, dass in einem Land, das sich für so modern hält, für so fortgeschritten hält, die Kenntnisse darüber, wie mit Emotionen wie Angst gut umzugehen ist, so wenig verbreitet sind.
Überhaupt scheinen mir die Kenntnisse darüber, wie mit bestimmten Emotionen, wie mit bestimmten Geisteszuständen umgegangen werden kann, erstaunlich gering ausgeprägt, nicht wirklich ausgebildet.
Ein anschauliches Beispiel ist der Manager (nehmen wir ihn mal bitte als meistens überdurchschnittlich gut ausgebildeten Bürger an), der normalerweise souverän auftritt, viele Dinge im Griff hat, Entscheidungen trifft und es gewohnt ist, krisenhafte geschäftliche Situationen zu meistern… und plötzlich am Flughafen, am Bahnhof, im Supermarkt vor lauter Angst nicht mehr durch das Drehkreuz gehen kann, in das Verkehrsmittel nicht mehr einsteigen kann, letztlich einfach nicht weiß, wie mit einer Panikattacke umzugehen ist.
Das soll hier keine Abwertung ausdrücken. Das Auftreten, gerade das erstmalige Auftreten einer Panikattacke ist ein so krasses Erlebnis, dass es völlig natürlich ist, keine Antwort darauf zu haben und in dem Moment nicht damit umgehen zu können.

Und ich will auch nicht die eigentlich nützliche Funktion von Angst abwerten. Sie sensibilisiert uns für unser Umfeld, bringt uns auf Spannung und befähigt uns, zu reagieren – normalerweise sollte das physiologisch jedenfalls so sein.

Gewiss wird mitunter die Frage gestellt, welche Ängste und Sorgen uns umtreiben, mitunter auch, was denn zu welchen Ängsten führt… gerade zur Zeit erleben wir das in den Medien, in der Gesellschaft.
Schon seltener wird gefragt, welche Angst hinter einer vordergründigen Angst steckt… (Beispiel: Angst vor wirtschaftlichem Abstieg, dahinter stehende Angst: Partner/Partnerin  wird mich als Versager/Versagen sehen, dahinter stehende Angst: Trennung… etc.)
Noch seltener wird gefragt: Was nutzt mir die Angst? Was habe ich davon? Wovor soll mich die Angst schützen? Worauf soll sie mich aufmerksam machen?

Gar nicht gut steht es auch mit dem Knowhow darüber, welche Sofortmaßnahmen ich anwenden kann, wenn ich einen akuten Angstzustand habe.
Hier muss ich differenzieren: an dieser Stelle meine ich nicht Sorge, sondern akute Angstzustände.
Die Kenntnisse darüber, wie ich mit einer Paninattacke zurechtkomme, sind nicht verbreitet und werden erst dann nachgefragt, wenn plötzlich Bedarf besteht. Dann aber ist es eilig, es braucht sofort Hilfe, die gar nicht schnell genug gehen kann und die Situation erscheint brenzlig und dramatisch.
Und noch mangelhafter sieht es mit der Verbreitung von Knowhow aus, wenn es darum geht, mit einer Angststörung, mit einer Depression im Leben zurecht zu kommen. Dieser Bereich wird in der Gesellschaft dann gern gleich ins Krankhafte abgedrängt.

Nicht viel besser sieht es mit dem Umgang mit anderen starken Gefühlen aus: Wut, Trauer, Sehnsucht, Verliebtheit, Scham… für den Umgang damit haben wir oft null Kenntnisse aus der Schule mitgebracht, im schlimmsten Fall auch null Kenntnisse aus unserer Herkunftsfamilie.
Kenntnisse über Kommunikation sind ebenfalls nicht weit verbreitet.
In systemischen Aufstellungen lässt sich oft gut beobachten, dass viele Menschen (auch gut gebildete… vielleicht gerade gut gebildete?) Schwierigkeiten haben, zu benennen, was sie fühlen. Auf die Frage „Was fühlst du jetzt?“ wird mit Gedanken oder Konzepten geantwortet. Das begegnet mir auch in Coaching – Sitzungen oft: einige Menschen können nur mühsam, manchmal auch gar nicht sagen was sie fühlen. Der Zugang zu den eigenen Gefühlen scheint verstellt, riskant zu sein… oft genug durch schmerzhafte Erfahrungen.

Dennoch erwarten wir von unseren Kindern und Jugendlichen und schließlich von uns Erwachsenen emotionale Intelligenz und soziale Kompetenz. Mir erscheint das wenig angemessen.

Wieso gehören basics wie der Umgang mit starken Emotionen (der US- amerikanische Vietnamveteran und heutige Zen-Mönch Claude AnShin Thomas hat zum Thema „Leben mit starken Gefühlen“ Beeindruckendes aus der eigenen Biographie und aus der Friedensarbeit mit Menschen zu sagen) und die Bewusstheit für Emotionen überhaupt nicht zur Bildung in diesem Land?

Nachdenklich, absolut nicht ohne Sorgen…
Ihr und Euer Jens Gantzel

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