Kultivierung der Gewalt? Das Geschäft mit der Angst

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Beim Kasseler Dokfilmfest, mittlerweile auch schon wieder vier Wochen her, sah ich unter anderem einen faszinierenden Dokumentarfilm mit dem Titel ‚Gaze – Mapping Medellin‘ von Jonas Weber Herrera. Der Filmemacher hatte seine Kamera jeden Tag morgens auf einem Platz in der hierzulande als Drogenmetropole verrufenen Stadt Medellin aufgestellt. Auf diese Weise lernte er Tag für Tag Menschen näher kennen, die dort ihren Lebensunterhalt verdienen, ihre Freizeit, kurz ihren Alltag verbringen –  Gemüsehändler, Straßenkids, Prostituierte, Bewohner des Viertels etc…

Unmittelbare Einblicke in eine Metropole eines Bürgerkrieges

Der Film frappiert durch die Unmittelbarkeit, die er ausstrahlt. Jonas Weber Herrera lässt uns die Menschen unmittelbar kennenlernen, nicht durch das oft wohlfeil wirkende, immer leicht abseits stehende Schauglas der Dokumentation, nicht mit dem Blick von oben herab, sondern direkt, kontemplativ, nicht beurteilend, nicht aburteilend.

Im Zuge des Films wird so auch die Geschichte Kolumbiens erzählt,  zumindest die Geschichte der letzten 50 Jahre. Es wird deutlich, dass es eine Kultivierung der Gewalt gegeben hat, möglicherweise immer noch gibt.
Regierung, Militär, Polizei, linke Rebellen der FARC sowie rechte paramilitärische Verbände liefern sich einen blutigen Bürgerkrieg, in dem auch das organisierte Verbrechen massiv verstrickt waren. Die Taten der Beteiligten an diesem Bürgerkrieg sind in der Erzählung des Dokumentarfilmes nur schwer zu ertragen, da sie ausgesprochen grausam sind. Regierungen, Militärs, Großgrundbesitzer, internationale Konzerne (z.B. Chiquita) und organisiertes Verbrechen nutzten die paramilitärischen Verbände, um die blutige Drecksarbeit machen zu lassen: Morde, Verstümmelung, Folter, Zerstörung, Plünderung etc., kaum etwas, was die Paramilitärs nicht getan haben. Und auch der linksgerichteten FARC werden Menschenrechtsverletzungen (u.a. Rekrutierung von Kindersoldaten) und Gräueltaten vorgeworfen.

Fixierter Blick auf Gewalt

Vor allem aber machen Sie eines deutlich: eine Kultivierung der Gewalt kann tatsächlich über lange Jahre Macht ausüben und wirkt auch noch darüber hinaus, so dass die Entwicklung einer Gesellschaft, deren Werte Mitgefühl, Solidarität, Reflektion, Friedfertigkeit sein könnten, lang behindert wird.
So blicken Menschen auch Jahre später noch fixiert auf Gewalt als Phänomen. Dieser Blick mag einerseits zur Bewältigung beitragen, hat andererseits auch das fragwürdige Potenzial, sich eine Welt ohne Kultivierung der Gewalt, ohne kultivierte Gewalt nur schwer vorstellen zu können.

Es ist, kurz gesagt das Geschäft mit der Angst.
In diesen Tagen fällt besonders stark auf, wie vor allem die Organisatoren von PEGIDA das Geschäft mit der Angst betreiben. Zwar ohne direkte Ausübung von Gewalt, aber unverhohlen.

PEGIDA, Angst ist ein schlechter Ratgeber

Angst ist jedoch ein schlechter Ratgeber. Warum?
Die Ergebnisse, die ich aus dem Geschäft mit der Angst erhalte, werden sich anfühlen wie Ergebnisse, die ich mithilfe von Angst erzielt habe. Sind das die Gefühle, die ich will?
Dazu weiter unten mehr.

Worauf ich hinaus will?
Auf zwei verschiedene Punkte:
– einerseits auf die persönliche Entscheidung, ob ich eine Kultivierung der Gewalt, ein Geschäft mit der Angst akzeptiere, rechtfertige, unterstütze oder mich bewusst gegen eine Kultivierung der Gewalt, gegen ein Geschäft mit der Angst entscheide
– andererseits die Frage, wohin ich meine Energie richte, was ich füttern will

Worauf will ich meine Energie richten?

Zuerst zur zweiten Frage. Sofern es mir nicht gelingt, den Blick aufzumachen, sofern ich nur den Blick auf die Gewalt richte, auf das Leid, auf die Folgen daraus, auf die Möglichkeiten, aus der Gewalt Macht zu gewinnen, wird es schwer werden, dass ein anderes Konzept, dass eine andere Idee, dass eine andere Handlungsweise genügend Raum bekommt. Ich füttere sozusagen die Kultivierung der Gewalt selbst.
Ich brauche ein Gegengewicht, einen Gegenentwurf, eine andere Vision, auf die ich meine Energie richten kann.

Ich plädiere nicht dafür, die Augen vor Gewalt zu verschließen. Überhaupt nicht. Das wäre aus meiner Sicht eine vollkommen verfehlte Umgangsweise mit dem Phänomen Gewalt. Ich plädiere dafür, Gewalt zu benennen, wahrzunehmen, darüber zu reflektieren, um schließlich andere Handlungsoptionen auswählen zu können. Ich plädiere dafür, bei sich selbst nachzuschauen, wie es mit dem Verhältnis zur Gewalt steht. Dazu gleich mehr, wenn ich auf die erste Frage zu sprechen komme.

Gewalt benennen und darüber nachdenken, sprechen – sicher
Aber den Blick nachhaltig auf Alternativen richten

Jedoch halte ich es für unverzichtbar, aus dem Kreislauf der Kultivierung der Gewalt auszubrechen. Wenn ich nur noch auf das Thema erlittener (oder ausgeführter!) Gewalt blicke, haben mich diejenigen, die die Gewalt kultiviert haben, weiter im Griff. Die Kultivierung der Gewalt funktioniert dann weiter und quält mich weiter. Eine Lösung aus dieser Kultivierung der Gewalt ist auf diese Weise noch schwieriger als ohnehin schon.
Es ist notwendig, die Energie, den Blick auf Alternativen zu richten.

Mein Verhalten, meine Ausübung von und mein Verhältnis zu Macht kann verschiedene Dinge hervorrufen.
Das führt mich ersten oben gestellten Frage.
Ich werde versuchen, hier mit einem sehr kühlen Blick drauf zu schauen.

Wonach schmecken Erfolge, Ergebnisse eines Geschäftes mit der Angst?

Wenn ich mich so verhalte, wenn ich auf eine Weise Macht ausübe, dass Menschen Angst verspüren, zornig sind, wütend sind, sich verstecken wollen, unter diesen Bedingungen mir nicht kreativ, phantasievoll, freundlich, liebevoll, mitfühlend entgegen kommen werden, dann werde ich Ergebnisse, Erfolge dieser Machtausübung ernten, die sich genau so anfühlen. Die Ergebnisse, Erfolge werden sich danach anfühlen, dass sie durch Gewalt, Manipulation, Angst ermöglicht wurden.
Klingt das für Sie, klingt das für dich wirklich attraktiv?

Wenn ich mich auf eine Weise verhalte, die Menschen offen sein lässt, die Menschen Raum bietet, die Menschen ermuntert, beflügelt, erfreut werden die Ergebnisse und Erfolge meines Verhaltens und dieser Ausübung von Macht, Kraft sich auf diese Weise anfühlen.

Es ist also ein gutes Stück weit eine Entscheidung, wie ich mich fühlen will. Vor allem auch, wie ich mich nachhaltig fühlen will. Möglicherweise gibt Machtausübung durch Gewalt und Manipulation einen kurzfristigen Kick, jedoch kann sie nicht nachhaltig zufrieden machen. Ich müsste ständig nachlegen, muss Kontrolle, Manipulation oder Gewalt beständig aufrechterhalten. Das erscheint mir zudem ein enorm energieraubender, frustrierender Vorgang zu sein, um sich Erfolg zu sichern.

Natürlich gibt es auch hierzulande bei uns täglich Beispiele für Machtausübung… in Liebesbeziehungen, in Gruppen, zwischen Eltern und Kindern, in Geschäftsbeziehungen…

Tägliche Machtausübung – Wie will ich mich fühlen?

Vor ca. 8 Jahren sagte ein von mir ansonsten sehr geschätzter Mentor in einem Gespräch über Verkaufsstrategien für das Produkt, die Leistung, die mein Unternehmen verkaufte, ich müsste auch mal das Geschäft mit der Angst machen. Er meinte damit die künstliche Verknappung des Produktes, der Dienstleistung, er meinte den Wink mit dem Zaunpfahl, der Kunde könne den Anschluss verlieren, wenn er jetzt nicht zuschlage, den Hinweis, dass die Konkurrenz aber schon eifrig dabei sei… usw.

Nein, muss ich nicht.
Ich muss nicht das Geschäft mit der Angst machen, ich habe es nicht gemacht und das Geschäft (ohne Angst :-) ist dennoch gut gelaufen.
Ich habe die Möglichkeit, mich täglich gegen eine Kultivierung der Gewalt und gegen ein Geschäft mit der Angst zu entscheiden.
Stattdessen kann ich mich täglich für eine Kultivierung von Werten wie Kooperation, Akzeptanz und Mitgefühl entscheiden. Das versuche ich Tag für Tag. Und es fühlt sich gut an, auch die Erfolge aus dieser Entscheidung fühlen sich gut an.

In diesem Sinne wünsche ich Euch und Ihnen ein besinnliches Weihnachtsfest,
möglichst viel Erholungsmöglichkeiten zwischen den Jahren
und Gutnrtsch! :-)

Ihr und Euer Jens Gantzel

Ein Gedanke zu “Kultivierung der Gewalt? Das Geschäft mit der Angst

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